Neue Fertigungstechnologie zur Bewältigung wirtschaftlicher und ökologischer Herausforderungen
Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) Transregio 73 arbeitet die TU Dortmund mit der Leibnitz Universität Hannover und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zusammen. Das von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) geförderte Forschungsprogramm wurde ins Leben gerufen, um eine neue Fertigungstechnologie, die Blechmassivumformung, zu entwickeln. Diese Technologie soll die Vorteile und Gestaltungsmöglichkeiten der Blech- und Massivumformung zusammenführen und hinsichtlich der Bauteilkomplexität erweitern. Neben der Entwicklung der Umformprozesse stellt der Herstellungsprozess der neuartigen Umformwerkzeuge mit spezifischen Charakteristika einen wichtigen Schritt für den Transfer in die industrielle Praxis dar. Die Mikrozerspanung bietet im Hinblick auf die geforderte Form- und Maßgenauigkeit sowie Oberflächenintegrität signifikante Vorteile, wodurch eine effiziente und wirtschaftliche Herstellung der Umformwerkzeuge sowie deren Standzeit begünstigt werden.
„Ohne Messtechnik wären Wissenschaftler blind“
Eugen Krebs ist bereits seit mehreren Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISF und bearbeitet mit Alexander Meijer im Transregio das Teilprojekt B2. Beide beschäftigen sich am Institut insbesondere mit der Mikrozerspanung. Zu ihren Aufgaben gehören unter anderem die Prozess- und Werkzeugentwicklung für die jeweiligen Zerspanungsaufgaben. Dazu wird die entsprechende Messtechnik benötigt. „Die Mikrozerspanung stellt aufgrund der filigranen Abmessungen höchste Anforderungen an das Messequipment. In der Zerspanung geht es um mechanische Prozesse, in denen hochdynamische Kräfte in einem sehr breiten Messbereich auftreten können. Eine zuverlässige Messung und Analyse dieser Kräfte ist für unsere Prozessbewertung entscheidend. Ohne Messtechnik wären wir Wissenschaftlicher blind“, erklärt Krebs. Gemeinsam mit 22 weiteren wissenschaftlichen Mitarbeitern forscht er seit 2010 im Transregio. „Der Sonderforschungsbereich Transregio 73 leistet einen wichtigen Beitrag für die notwendige Weiterentwicklung der Umformtechnik und damit auch für die Bewältigung aktueller wirtschaftlicher und ökologischer Herausforderungen“, erklärt Krebs. „Mit dem Projekt legen wir essentielle, wissenschaftliche Grundlagen, mit denen wir der steigenden Nachfrage an individuellen, flexibel anpassbaren technischen Systemen gerecht werden, die eine immer größere Funktionsdichte aufweisen.“ Die erzielten Ergebnisse steigern die Wirtschaftlichkeit und Ressourceneffizienz bei umformtechnischen Prozessen.
Enorme Anforderungen an die Prozesse
Umformwerkzeuge aus der Blechmassivumformung weisen filigrane und komplexe Formelemente auf, die zugleich hohen Belastungen standhalten müssen. „Viele Materialen kamen in dem Projekt als Werkstoff für die Umformwerkzeuge nicht in Frage, weil sie unser Anforderungsprofil nicht erfüllten“, erzählt Krebs weiter. Die Entscheidung fiel auf einen pulvermetallurgischen Schnellarbeitsstahl, der bei einer Einsatzhärte von bis zu 65 HRC eine hohe Verschleißbeständigkeit und Formfestigkeit aufweist. „Zu Beginn des Transregios wurde angezweifelt, dass derartige Werkstoffe mit kleinen Werkzeugen (unter einem Durchmesser von d = 1 mm) prozesssicher zerspant werden können. Diese Herausforderung galt es, im Rahmen des Teilprojektes B2 zu lösen.“
„In der Zerspanung geht es um mechanische Prozesse, in denen hochdynamische Kräfte in einem sehr breiten Messbereich auftreten können. Eine zuverlässige Messung und Analyse dieser Kräfte ist für unsere Prozessbewertung entscheidend. Ohne Messtechnik wären wir Wissenschaftlicher blind.“
Eugen Krebs, wissenschaftliche Mitarbeiter am ISF
Robuste Messtechnik mit hoher Eigenfrequenz als Lösung
Für die Entwicklung der Prozesse in der Mikrozerspanung von hochfesten Werkstoffen mit Werkzeugdurchmessern im Bereich von 0,2 bis 1 Millimeter waren detaillierte Zerspanversuche notwendig, bei denen sowohl geeignete Prozessparameter identifiziert als auch Werkzeugkonzepte optimiert werden sollten. Hierzu wurde eine zuverlässige Messtechnik benötigt, die sehr sensibel reagiert und in der Lage ist, Kräfte unter 1 N bis hin zu Kräften über 200 N in einem Prozessablauf sauber und präzise abzubilden. Ein weiteres wichtiges Kriterium, das das ISF an die Messtechnik stellte, war die hohe Eigenfrequenz. „Liegen die Eigenfrequenzen der Kraftmesstechnik in einem Frequenzbereich unter 4 000 Hz, wird die Kraftmessplattform im Mikrozerspanungsprozess zu stark angeregt. Dann besteht die Gefahr, dass wir eher die Schwingung der Plattform messen als die Kraftsignale der Schneideneingriffe“, so Krebs. Ebenso wichtig ist eine hohe Robustheit der Messtechnik, damit äußere Einflüsse wie Temperatur oder Kühlschmierstoffe den Prozess nicht einschränken. Und, zu guter Letzt, waren die Wiederholbarkeit und Messsicherheit der Messungen ein Anliegen des Forschungsteams. „Wir wiederholen unsere Messungen häufig fünf bis zehn Mal. Da ist es natürlich entscheidend, dass wir bei den gleichen Versuchen auch vergleichbare und verlässliche Ergebnisse erzielen“, erklärt Krebs.
Mit Kistler Grenzen des Möglichen überschritten
Mit MicroDyn 9109AA hat das ISF ein Zerspankraftmessgerät an die Hand bekommen, das alle genannten Anforderungen erfüllt und viele weitere Vorteile mit sich bringt. „Die TU Dortmund verbindet mit der Kistler Gruppe eine langjährige und intensive Partnerschaft. Wir haben in der Vergangenheit schon häufig Untersuchungen mit unterschiedlichen Dynamometern von Kistler durchgeführt und waren bisher immer sehr zufrieden damit. Als wir das Angebot bekommen haben, den Prototypen des neuen Dynamometers MicroDyn 9109AA zu testen, um unsere Analysen zur Werkzeugmodifikation zu beurteilen, haben wir natürlich sofort zugesagt“, erzählt Krebs weiter.
Das Dynamometer ist seit Februar 2018 am ISF im Einsatz. Was hat sich seitdem verändert? Krebs: „Bevor wir mit dem neuen Dynamometer von Kistler gearbeitet haben, hatten wir das Problem, dass die Kraftmessung in der Mikrozerspanung durch die Eigenfrequenzen des Messmittels begrenzt waren. Diese Begrenzung haben wir in dieser Form jetzt nicht mehr. Dank der hohen Eigenfrequenz von 15 kHz in allen drei Achsen (x, y, z) können wir hochdynamische Kräfte bei Spindeldrehzahlen von bis zu 160 000 Umdrehungen pro Minute messen. Das ist eine Steigerung der dynamischen Eigenschaften um den Faktor 2,5 im Vergleich zum Vorgängerprodukt.“ Mit einem Messbereich von bis zu 500 N ist das Gerät außerdem ausreichend dimensioniert. „Etwas Derartiges haben wir mit unserer Messtechnik bisher nicht erreicht. MicroDyn hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Grenzen des bisher Möglichen zu erweitern. Wir sind jetzt in der Lage, Prozesse mit Schnittgeschwindigkeiten von vc > 500 m/min bei kleinen Werkzeugdurchmessern zu analysieren“, erzählt Krebs. „Durch die Weiterentwicklung der Messtechnik eröffnen sich für uns neue Einblicke in die spanende Mikrobearbeitung, die vorher aufgrund technologischer Grenzen nicht möglich waren.“
Das Forschungsprogramm Transregio 73 läuft noch bis Ende 2020. Auch danach wollen Krebs und Meijer das Dynamometer von Kistler weiter nutzen. „Wir möchten noch weitere Werkzeugmodifikationen untersuchen und Prozessgrenzen bei der Mikrozerspanung erweitern. Deshalb werden wir bei der Prozessentwicklung auch weiterhin gerne auf die Messtechnikexperten von Kistler setzen.“