ARIS testet seine Hybrid-Rakete – Dynamische Druckmessung auf Verbrennungslevel
Zusätzlich zu einem Kleinsatelliten, einem kleinen Unterwasserroboter und einer Landesteuerung arbeitet ARIS derzeit an zwei verschiedenen Antriebs-Konzepten – Prometheus mit Flüssigbrennstofftriebwerk und einem Hybridantrieb, ASTREA. Bei beiden Raketenantrieben setzten die Studierenden Drucksensoren von Kistler ein, um Verbrennungsinstabilitäten zu überwachen und zu beheben.
In der Brennkammer von ASTREA reagiert fester Polymerbrennstoff mit einem flüssigen Oxidationsmittel, das als feiner Nebel eingespritzt wird. Die Druckeinspritzung ist ein entscheidender Parameter für die Erzielung eines konstanten Schubs des Raketentriebwerks. Je mehr die jungen Ingenieurinnen und Ingenieure über die Zusammenhänge zwischen Oxidationsmitteleinspritzung und Verbrennung wissen, desto besser können sie sie steuern. „Wir haben einen der Drucksensoren in der Verteilerkammer der Einspritzdüse angebracht, wo das Oxidationsmittel in die Brennkammer eintritt. Einen weiteren haben wir an einer Testdüse installiert und für die Messung des Drucks in der Brennkammer eingerichtet. Aufgrund der Position der Sensoren ist dieser Testaufbau sehr anspruchsvoll: Die Geräte müssen extrem hohen Temperaturen standhalten", erklärt Mathieu Sandoz, Hard- und Software-Ingenieur des ASTREA-Hybridraketenteams. Kistler stellte dem Team deshalb temperaturbeständige Drucksensoren 601CAA zur Verfügung, die speziell auf dynamische Druckmessungen mit hohen Temperaturschocks ausgelegt sind. Um sicherzustellen, dass die wertvollen Messgeräte vor den hohen Temperaturen während der Verbrennung sicher sind, verwendete das Studierendenteam bei den ersten Tests einen Dummy-Sensor. „Einen direkten Kontakt mit den heißen Gasen müssen wir vermeiden. Deshalb haben wir die Sensoren mit einer Durchgangsmontage installiert. Außerdem haben wir – wie von Kistler vorgeschlagen – ein akustisches Modell des Kanals erstellt, um dessen Eigenfrequenz zu bestimmen und den Einfluss auf die Messungen zu bewerten", beschreibt Sandoz die Vorkehrungen. Ein wichtiger Schritt, denn die Eigenfrequenz des Kanals beeinflusst die Messungen in der Brennkammer.
„Die hohe Datenerfassungsfrequenz der piezoelektrischen Sensoren ermöglicht es uns, die Dynamik der Triebwerke im Detail zu verstehen.”
Florent Gaspoz, Teamleiter Antrieb beim EPFL-Raketenteam
Die piezoelektrischen Sensoren sind insbesondere für dynamische und quasi-statische Druckmessungen in rauen Umgebungen mit sehr hohen Temperaturen geeignet: Neben ihrer Robustheit zeichnen sich die Sensoren durch eine sehr hohe Abtastfrequenz aus, die den Studierenden detaillierte Informationen über die Stabilität der Zündung liefert. „Dank den hochfrequenten Sensoren haben wir bei unseren Druckmessungen während der Testkampagne drei unterschiedliche Verbrennungsinstabilitäten identifiziert. Beispielsweise haben wir Schwankungen in der Vorbrennkammer entdeckt und konnten anhand der Daten zeigen, dass sie die Ursache für ein Antriebsversagen waren. Nachdem wir das Problem gefunden und schnell behoben haben, konnten wir unsere Versuche fortsetzen“, so Sandoz.
EPFL testet Flüssigbrennstoffraketen – ein Balanceakt
Anders als hybride und Feststoffantriebe nutzen Flüssigbrennstoffraketen, wie der Name schon sagt, flüssigen Kraftstoff sowie flüssiges Oxidationsmittel. Da diese Antriebsart die effizienteste ist, nutzen sie auch die meisten kommerziellen Raketen. Die Entwicklung solcher Raketen ist jedoch anspruchsvoll: Der Druck des Kraftstoffzufuhrsystems muss perfekt ausbalanciert sein, um auf konstanter und gleichmäßiger Flamme zu laufen.
Nicht nur das ARIS-Team, sondern auch das EPFL-Raketenteam aus Lausanne testet die Raketenantriebe immer wieder auf dem Prüfstand ihres jeweiligen Instituts. Das Herz eines jeden Versuchs des EPFL-Teams: zehn temperaturresistente piezoelektrische Sensoren von Kistler. Drei Drucksensoren messen den Druck in der Brennkammer, zwei weitere überwachen den Druck in den Ethanol- und Oxidationsmittelinjektoren. Drei zusätzliche Kraftaufnehmer messen die Kräfte hinter den Druckplatten und weitere Sensoren und Kraftaufnehmer kontrollieren die zwei Tanks. Es ist daher wenig überraschend, dass der Prüftisch bei voller Auslastung Testdatenmengen von bis zu 87 MB pro Sekunde generiert. Das Softwareprogramm KiStudio Lab von Kistler, das die jBEAM Nachbearbeitungs-Software einschließt, zeichnet diese Daten auf und analysiert sie. Bislang hat das Team mehr als 250 Tests mit Flüssigbrennstoffantrieben auf dem Teststand erfolgreich durchgeführt.
Florent Gaspoz, Teamleiter Antrieb beim EPFL-Raketenteam, beschreibt, warum die Messungen für den Entwicklungsprozess so entscheidend sind: „Die hohe Datenerfassungsfrequenz der piezoelektrischen Sensoren ermöglicht es uns, die Dynamik der Triebwerke im Detail zu verstehen. Im Sommer hatten wir zum Beispiel Probleme mit der Zündung des Triebwerks und konnten die Ursache dafür nicht finden. Daraufhin haben wir uns die erhobenen Daten genau angesehen – wir haben im wahrsten Sinne des Wortes in die Daten hineingezoomt. Dabei fanden wir heraus, dass die Schwingungen in der Brennkammer den Schwingungen in der Einspritzdüse nur minimal vorausgingen. Wir wussten sofort, wie wir das Problem lösen konnten – aber ohne die Messungen hätten wir die Ursache für die fehlgeschlagene Zündung vielleicht nicht gefunden.“ Ein paar Monate später trat das Problem erneut auf. Das Team überprüfte die Daten erneut und stellte fest, dass diesmal das Oxidationsmittel die Ursache war. „Es ist eine tolle Erfahrung, sich mit so detaillierten Daten zu beschäftigen und daraus Schlüsse ziehen zu können. In diesem Moment habe ich mich wirklich wie ein Ingenieur gefühlt“, fügt Gaspoz lachend hinzu.
Messtechnik mit Auswirkungen auf die gesamte Luft- und Raumfahrtindustrie
Reinhard Bosshard, Vertriebsexperte bei Kistler, unterstützt die Studierenden mit technischem Hintergrundwissen zur korrekten Installation von Messketten. Er freut sich, dass die Studierenden durch die Messungen wertvolle Einblicke erhalten und dazulernen. „Ich bin erstaunt über die Innovationsfreude der Studierenden. Sie lernen viel und schnell, wenn sie selbst Teststrategien entwickeln, die Testdaten interpretieren und Schlussfolgerungen ziehen. Das sind wichtige Fähigkeiten, die nicht nur in der Raumfahrtindustrie, sondern auch in vielen anderen Bereichen der Technik eine große Rolle spielen. Die gleiche Art von Tests führt beispielsweise bei Flugzeugturbinentests zu vielversprechenden Ergebnissen.“
Die Teams ARIS und EPFL Rocket Team stehen allerdings zunächst vor anderen Herausforderungen – zum Beispiel die nächste European Rocketry Challenge (EUROC) zu gewinnen. Hier sind die beiden Schweizer Teams Konkurrenten und Partner zugleich. Während jedes Team zwar mit den eigenen Raketen antritt, helfen sich die Teams im Bedarfsfall gegenseitig aus und teilen sich Teile der Ausrüstung wie die Startschiene. Am Ende zählt schließlich die Leidenschaft für die Luft- und Raumfahrttechnik – und die Erfahrung, immer effizientere Forschungsraketen zu entwickeln. So verwirklichen sich die Teams ihren ultimativen Traum: zu den Sternen zu gelangen.