Akaflieg München setzt beim Bruchversuch am Flügel ihres Segelflugzeugs auf Messtechnik von Kistler


Im Rahmen der Zulassung seitens des Luftfahrtbundesamts ist für das Segelflugzeug Mü-32 „Reißmeister“ ein Bruchversuch erforderlich, bei dem der Flügel der doppelten real auftretenden Maximallast ausgesetzt wird. Funktioniert der mit Hilfe von Kistler Messtechnik durchgeführte Test der Akaflieg München?

Auch wenn das Segelfliegen heute im Schatten des (kommerziellen) Motorflugs steht, ist seine Tradition in Deutschland – dem Land des Luftfahrtpioniers Otto Lilienthal – nie abgerissen. Das liegt auch an den „Akafliegs“, akademischen Segelflugvereinen, die an vielen deutschen Hochschulen einzigartige Möglichkeiten für Studierende und junge Ingenieure bieten. Hier kann man nicht nur unschätzbare praktische Erfahrungen in Aerodynamik, Flugzeugkonstruktion und -wartung sowie vielen weiteren Gebieten sammeln, sondern sozusagen nebenbei für kleines Geld den Flugschein für Segelflugzeuge erwerben und an Wettbewerben teilnehmen – bis hin zum anspruchsvollen Kunstflug.

Ein traditionsreicher Verein mit ambitionierten Projekten ist die Akaflieg München: Gegründet 1924, als aufgrund des Versailler Vertrags Motorflüge in Deutschland verboten waren, zählt sie heute etwa 40 Mitglieder (Studierende und Alumni). Von ihrem Segelflugplatz in Königsdorf, etwa 20 km südlich von München, starten sie zu Rund- und Streckenflügen rund um die bayerische Landeshauptstadt sowie – natürlich besonders reizvoll – in die nahegelegenen Alpen. Zusätzlich unterhalten die Münchner Konstruktionsbüros an der TU München und weiteren Hochschulen, mit einem Schwerpunkt am Lehrstuhl für Produktentwicklung und Leichtbau (LPL) in Garching. Viele der von Akaflieg München gebauten Flugzeuge haben Maßstäbe gesetzt und werden immer noch geflogen, zum Beispiel das motorisierte Schlepp- und Kunstflugzeug Mü-30 „Schlacro“ (2000) oder die Mü-28, eines der schnellsten Segelflugzeuge aller Zeiten (zulässige Höchstgeschwindigkeit 380 km/h) – Erstflug 1983.

Segelflugzeug Mü-32 „Reißmeister“ der Akaflieg München: So soll es in etwa aussehen, wenn es einmal fertig ist.
Segelflugzeug Mü-32 „Reißmeister“ der Akaflieg München: So soll es in etwa aussehen – bis dahin ist es jedoch Stand heute noch ein weiter Weg.

Hohe Hürden für ein besonderes Segelflugzeug

Joscha Löwe ist seit 2018 dabei und damit sozusagen schon ein „alter Hase“. Er studierte zunächst Maschinenwesen, wechselte aber später zur Medizin. Trotzdem findet er noch Zeit, um bei Akaflieg München im aktuellen Projekt Mü-32 „Reißmeister“ teils führend mitzuarbeiten, bei dem auch Kistler involviert ist: „Mit der Mü-32 wollen wir ein Segelkunstflugzeug bauen, das die Mü-28 weiterentwickelt. Insbesondere sollen ein besseres Verhalten bei Strömungsabriss erreicht, die Crashsicherheit erhöht und eine Wölbklappenautomatik eingebaut werden – und das alles bei sehr hohen Lasten bis zu 10 g und hohen Geschwindigkeiten bis 320 km/h!“ Für die Zulassung beim Luftfahrtbundesamt sind entsprechende Hürden zu meistern, um zu belegen, dass das Flugzeug ein Vielfaches der zu erwartenden Belastungen aushält. So ist zunächst ein Flügelbruchversuch vonnöten, bei dem der aus Kohlefasern aufwendig konstruierte Flügel bei einer vorgeschriebenen Temperatur von 54°C kontrolliert belastet wird.

Auf den Bruchversuch zugeschnittene Messtechnik

Für den Bruchversuch, der in der LPL-Versuchshalle in Garching durchgeführt und live auf YouTube gestreamt wurde, waren neben dem in viel handwerklicher Kleinarbeit gebauten Flügel eine entsprechende Aufhängung mit Lastscheren sowie geeignete Messtechnik nötig. Clemens Lippmann, der sich aktuell im Masterstudium Astrophysik befindet und außerdem kurz davor ist, seinen Segelflugschein erfolgreich abzuschließen, nimmt den Faden auf: „Wir setzen neben Hochgeschwindigkeitskameras eine Kraftmessdose von Kistler, 35 DMS-Sensoren sowie Seilwegaufnehmer und Temperatursensoren ein. All diese Sensoren sind an das Datenerfassungssystem KiDAQ angeschlossen, das uns als passende, genau auf den Versuch zugeschnittene Lösung von Kistler geliefert wurde.“ Die Kraftmessdose 9377D, ein dreiachsiger und vorgespannter piezoelektrischer Kraftsensor mit hoher Empfindlichkeit und einem Messbereich bis 150 kN, ist an der Spitze der Lastaufhängung zwischen Stahlträger und Krananschluss montiert und an KiDAQ angeschlossen. Dank des modularen Aufbaus dieses DAQ-Systems von Kistler können sämtliche Sensoren herstellerunabhängig mit KiDAQ verbunden werden – einschließlich automatischer Synchronisierung via PTP (Precision Time Protocol).

Der Kontakt zwischen der Akaflieg München und Kistler war 2021 beim Unternehmen CTS crashtest-service in Münster entstanden, einem Partner von Kistler im Bereich Crashtests. Damals waren die Münchner gerade dabei, als Teil des Luftfahrt-Forschungsprojekts „CraCpit“ ein innovatives Crashcockpit für Segelflugzeuge und insbesondere die kommende Mü-32 zu entwickeln. Beim finalen Crashtest kamen ein mit Messtechnik von Kistler instrumentierter Dummy sowie das Datenerfassungssystem KiDAQ zum Einsatz. Lippmann war dabei gemeinsam mit einem Kollegen der Akaflieg Hannover besonders auf die Software jBEAM aufmerksam geworden, die die Messdatenauswertung bei Tests und Messtechnikanwendungen sehr erleichtert: „Kistler hat uns auch in diesem Bereich genau das geliefert, was wir brauchten, und uns damit eine Menge mühseliger Programmierarbeit in Python erspart“, so Lippmann weiter. „Unschätzbar wertvoll, sozusagen 10 von 10 war auch die engagierte Unterstützung durch Martin Schlierf und Wolfgang Ziehers bei uns vor Ort, die uns im Bereich Messtechnik und Kalibrierung sehr weitergeholfen haben.“

Gescheiterter Bruchversuch: Warum brach der Flügel so früh?

Am 18. April 2024 war es, nach über einem Jahr Vorbereitungszeit, dann endlich so weit: Live im Netz und vor den Augen vieler interessierter Ingenieure, Universitätsangehöriger und Ehemaliger des Vereins sollte der Bruchversuch erfolgreich ablaufen. Der auf 54°C erwärmte Flügel wurde Schritt für Schritt weiter belastet – und brach leider bereits nach wenigen Sekunden, weit unter der angezielten Maximallast (Faktor 1,61, gefordert ist 2). „Bis heute ist nicht abschließend geklärt, woran es lag“, berichtet Löwe. „Es gab nicht den einen Faktor, den man als Ursache festmachen könnte. Am wahrscheinlichsten ist, dass der Testaufbau nicht geeignet ist und wir mehr Lastscheren verwenden müssen, um die Kraft entsprechend zu verteilen bzw. die Biegelinien zu optimieren. Wir sind noch dabei, die Daten aller Sensoren und Kameras umfassend zu analysieren. Dabei hilft uns die Messdaten-Analysesoftware jBEAM von Kistler, die sehr mächtig und praktisch in der Auswertung ist, insbesondere beim Datenimport und -export.“

Messtechnik von Kistler auch für nächsten Bruchversuch eingeplant

Sobald die Ursachenfindung abgeschlossen ist und ein Alternativplan entwickelt wurde, heißt es für die aktiven Mitglieder von Akaflieg München: auf ein Neues! Denn ohne erfolgreichen Bruchversuch keine Zulassung für den Flügel und damit auch kein neues Segelkunstflugzeug Mü-32. Die Planungen laufen aktuell bis 2028 oder sogar 2030, denn im Prinzip sind die Studierenden nach dem gescheiterten Test wieder auf den Anfang zurückgeworfen – und auch die ständige Fluktuation des aktiven Personals will gemanagt werden.

Für den zweiten Bruchversuch ist der Einsatz weiterer Messtechnik geplant, zum Beispiel weiterer Kraftmessdosen von Kistler, noch mehr DMS-Sensoren am Flügel sowie eventuell eines optischen Messsystems, um die Verformung auf dem Flügel genau nachvollziehen zu können. Joscha Löwe sagt abschließend: „Die Messtechnik von Kistler hat sich sehr bewährt, so dass wir auch künftig gerne darauf zurückgreifen – gegebenenfalls auch in Form weiterer Sensorik für die Flugerprobung der Mü-32, auch wenn es Stand heute bis dahin noch ein weiter Weg ist.“

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